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Wichtiges bewahren und gleichzeitig Zukunft gestalten: Grün macht den Unterschied

Haushaltsrede von Susanne Bay zum Doppelhaushalt 2021/2022 am 18.3.2021

s.auch Anträge Finanzen/Haushalt

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr 1.BM Diepgen, sehr geehrte Frau Wechs mit Team, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Obwohl in diesem Jahr die Sicht aus dem All wegen des coronabedingt verminderten Flugverkehrs physikalisch sicher noch besser wäre als Ende 2018 zu unserer letzten Haushaltsrede, ist ein solch klarer Blick leider doch nicht möglich. Zum einen weil Alexander Gerst im Moment nicht im All unterwegs ist und zum anderen, weil das Coronavirus mit all seinen immer noch nicht kalkulierbaren Folgen für Gesundheit, gesellschaftliches Leben, wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für unseren städtischen Haushalt, diese klare Sicht verstellt.

Wir danken deshalb schon jetzt dem Finanzdezernat, der Kämmerei und allen Fachämtern für den vorliegenden Planentwurf, dessen Erstellung in unplanbaren Krisenzeiten im Wortsinn eigentlich nicht möglich ist. Und ich danke unserer Fraktion für die Haushaltberatungen in ganz besonderen Zeiten.

Wie schnell der Entwurf von der Wirklichkeit eingeholt wird, sehen wir dramatisch an der 1. und 2. Änderungsliste z.B. hinsichtlich der prognostizierten Minderung des eh schon gesenkten Gewerbesteueransatzes um 9,6 Mio in 21 und 15 Mio in 22. Wobei: Hoffentlich ist hier noch nicht das letzte Wort gesprochen. Zum einen wegen möglicher doch überraschender konjunktureller Erholung - die Automobilbranche schreibt z.B. doch bessere Zahlen als gedacht. Und zum anderen wurden für 2020 in einem Pakt mit den Kommunen deren Steuerausfälle von Bund und Land quasi vollständig ersetzt. Dies verbunden mit der Hoffnung, man kann besser sogar sagen: mit dem Auftrag, die öffentlichen Investitionen weiter aufrecht zu erhalten, um die Konjunktur von dieser Seite am Laufen zu halten Und weiter mit der Hoffnung, nach überstandener Pandemie zügig in 2021 wieder selbstständig finanzierte kommunale Haushalte zu haben. Die erste Erwartung haben wir als Stadt erfüllt und keine Haushaltssperre beschlossen in 2020. Die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie zügig 2021 hat sich nicht erfüllt. So wird es, das ist besprochen, im Mai wieder Verhandlungen geben mit dem Land, wie es mit den gegenseitigen Finanzbeziehungen weitergeht. Der vorsichtige Ansatz ist richtig aus unserer Sicht.

Richtig finden wir auch - dafür haben wir uns im Vorfeld immer wieder stark gemacht - dass der Begriff „Investition“ nicht auf das beschränkt wird, was tatsächlich rein haushaltsrechtlich als solche definiert ist, also Gebautes oder erworbene Gegenstände. Für uns Grüne sind Investitionen, die gerade auch in einer - hoffentlich auslaufenden - Krisensituation von entscheidender Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind, ganz besonders Ausgaben für Soziales, Kultur, Kunst und Sport. Diese Ausgaben können nichts dafür, dass sie haushaltssystematisch im Ergebnishaushalt gebucht werden. Deshalb ist es in unserem Sinne, dass die Verwaltung hier nicht das große Rasieren begonnen hat. Auch die Übernahme wichtiger Positionen wie z.B. die Unterstützung der Prostituiertenberatung und anderer Anträge freier Träger halten wir für richtig, gerade in einer Zeit, in der Menschen in schwierige Situationen geraten könnten, braucht es ein stabiles soziales Netz.

Nachdem ich die Verwaltung jetzt so gelobt habe, könnte man meinen, wir sind mit allem einverstanden, was Sie uns heute vorlegen und wir haben ja auch bereits dem Gschwätz einer stadtbekannten ziemlich maskulinen Dame entnehmen können, dass man dann die Zeichen der Zeit erkannt habe, wenn man am Entwurf nichts verändert.

Hier widersprechen wir Grünen entschieden: die Verwaltung macht einen Gestaltungsvorschlag für die Stadt und verteilt hierfür eingenommene Mittel und aufgenommene Mittel nach ihren Vorstellungen. Natürlich liegen den Zuordnungen viele Gemeinderatsbeschlüsse zugrunde, aber einiges kommt von der Verwaltung on Top oder Beschlüsse des Gemeinderats werden nicht im aktuellen Haushalt abgebildet oder es ergeben sich aus unserer Sicht Bedarfe, die nicht eingeplant sind.

Zu solchen Themen stellen wir auch in diesem Jahr Anträge, weniger als die Jahre vorher, weil wir davon ausgehen, dass sich die Spielräume im Laufe der beiden Haushaltsjahre noch verändern könnten und wir ja stets Chefinnen und Chefs des Verfahrens sind und auch in der laufenden Haushaltsperiode Anträge stellen können.

Zu den unterbelichteten Themen gehört für uns eindeutig der Radverkehr. Unter dem Titel „Maßnahmen Strategiefeld zukunftsfähige Mobilität“ finden sich zahlreiche zig Millionen schwere Straßenprojekte, denen wir auch zugestimmt haben und die durchfinanziert werden müssen wie z.B. die Nordumfahrung Neckargartach. Ausgerechnet DAS Zukunftsgefährt, nämlich das Fahrrad, wird beim Kapitel zukunftsfähige Mobilität aber absolut stiefmütterlich behandelt. Gerade mal an einer Radverbindung wird gearbeitet werden. Für viele andere wichtige gibt es nicht einmal Planungsraten. Dabei ist die Zuschusslage gut wie nie. Wir haben deshalb hier einige Projekte aufgenommen, deren Umsetzung wir für zwingend erachten. Dafür wiederum zwingend ist die Besetzung bestehender Stellen für Radverkehrsplanung und die Schaffung neuer Stellen. Eine solche Stelle wollen wir im Laufe des Jahres einrichten.

Überhaupt zum Stellenplan: dieser ist bemerkenswert: wurden im letzten Doppelhaushalt einschließlich der Eigenbetriebe 15 Stellen geschaffen, so sind es im laufenden Verfahren über 70. Das ist nicht gerade ein Signal der Zurückhaltung seitens der Verwaltung in Anbetracht schwieriger Zeiten. Und diese Ausgaben wirken strukturell. Wir geben allerdings zu: wir legen jetzt auch nicht die Axt an bei den Schaffungen, denn wir haben auf unsere Nachfragen schlüssige Begründungen erhalten, teilweise fordern wir die Stellen, z.B. im Betriebsamt, ja selbst schon seit Jahren. Etwas mehr Ambitionen fordern wir aber wiederum bei Umschichtungen und auch Abgängen. Gerade mal eine Stelle wurde so in den letzten zwei Jahren eingespart. Jetzt bin ich nicht DIE Digitalisierungsgläubige, aber ein wenig mehr Effekt parallel zum Aufgabenzuwachs könnte man schon erwarten. Zu den Arbeitsplätzen und der digitalen Ausstattung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir einen Prüfantrag gestellt.

Eine weitere große Herausforderung der nächsten Jahre bleibt das Thema bezahlbarer Wohnraum. Das Programm des Landes leistet hier gute Förderung, wird am Neckarbogen 2 z.B. über 30 % in Anspruch genommen und versorgt so zahlreiche Menschen mit bezahlbarem Wohnraum. Dennoch gibt es Menschen, für die auch eine solche geförderte Wohnung zu teuer ist. Hier sehen wir Bedarf für zusätzliche Förderung und stellen einen entsprechenden Antrag. Nur im Zusammenspiel aller politischen Ebenen kann diese große Aufgabe bewältigt werden.

Das gleiche gilt für die Energiewende. Und hier hat die Stadt unbedingt noch Luft nach oben. Unser Antrag, städtische Dächer mit PV-Anlagen zu bestücken oder hilfsweise an Dritte zu verpachten, die dies machen können und wollen, feiert demnächst zehnjähriges Dienstjubiläum. Noch immer stehen viel zu viele städtische Dächer oben ohne rum. Und die Mittel für die Bestückung durch die Stadt selbst haben es wieder nicht in den Haushalt geschafft. Deshalb unser erneuter Antrag, diese Dächer dann wenigsten zu vergeben an die Genossenschaften, die dies gern machen würden. Dies bringt neben Pacht auch verbilligten Strom, weshalb auch dies der Stadtkasse guttut, wenngleich auch nicht in dem Maße wie eine Eigennutzung.

Wichtig ist uns Grünen noch ein Budget für Maßnahmen zur Abmilderung der Coronafolgen. Wir debattieren ja anschließend die Nöte der Innenstadt. Aber auch in den Stadtteilen, bei Freien Trägern, anderen Einrichtungen und unseren eigenen Töchtern kann Not entstehen. Hierfür soll eine Mio. eingeplant werden. Der Gemeinderat soll ab 20.000 € in die Verteilung der Mittel einbezogen werden.

Zur Gegenfinanzierung unserer Anträge greifen wir zurück auf Haushaltsreste, die wieder bei schätzungsweise 140 Mio € liegen werden. Das Bemerkenswerte, was wir aus der Haushaltsreste- und Haushaltssperrendebatte im Sommer gelernt haben, war, dass der Grundsatz, dass alles, was den Sprung in den Haushalt schafft, auch haushaltsreif sein muss, vonseiten der Verwaltung oder den Fachämtern nicht selten geschmeidig ausgelegt wird. So heißt es in der berühmten Liste der von der Verwaltung nicht gebildeten Haushaltsreste oft im Vermerk: keine konkrete Maßnahme. Dies summiert sich auf mehrere Mio €. Wir hinterlegen hier konkrete Maßnahmen und sorgen so für Haushaltsklarheit und -wahrheit.

Ansonsten haben wir uns wie gesagt für den Moment zurückgehalten, denn wir sehen auch: das Investitionsvolumen, das die Stadt vor sich herschiebt, eben gerade mit den Haushaltsresten, die stehen bleiben und dem was wir im Moment noch neu beschließen, ist ein Vielfaches dessen, was die Verwaltung abzuarbeiten im Stande ist. Wichtig finden wir hier, dass die geplanten Investitionen in unsere Schulen umgesetzt werden. Die Zustände dort sind zum einen sehr unterschiedlich, zum anderen oft erschreckend im Detail, nicht nur die Digitalisierung betreffend, sondern gerade auch die bauliche Befindlichkeit. Viele Schülerinnen und Schüler verbringen heute mehr Zeit in den Schulen als wir früher. Wir sprechen ja nachher auch noch dazu. Schule ist viel mehr Lebensraum als früher. Dem müssen auch die baulichen Gegebenheiten angepasst werden sowie die entsprechende Betreuung. Uns wurde versichert, dass die Ausstattung der bisher nicht versorgten Schulen mit Schulsozialarbeit tatsächlich aus Umschichtungen erreicht werden kann. Dies kann schnell umgesetzt werden. Deshalb braucht es hierfür diesmal keinen Antrag.

Nicht im Haushalt beantragen wir dieses Mal eine Baumschutzsatzung mit entsprechender Stelle. Nicht, weil wir sie nicht nach wie vor extrem wichtig finden, sondern weil wir im Sommer 2020 mehrfach auf Sie zugekommen sind mit der Einladung zu einem gemeinsamen Antrag hierzu. Außer von den Linken, haben wir keine Zustimmung erhalten. Von einigen nicht einmal eine Rückmeldung. Dies ist insbesondere deshalb eine herbe Enttäuschung, weil bei unserem Antrag zu den 126.000 Bäumen vielfach das Argument kam, wir hätten genug Bäume und auf die müssten wir aufpassen. Leider war das ein Lippenbekenntnis. Da unser Antrag also berechenbar keine Mehrheit hätte, wollen wir ihn hier nicht verheizen. Mittlerweile sind auch Umweltschutzorganisationen zu dem Thema aktiv auf Sie zugekommen. Wir bitten Sie alle, kommen wir über diese wichtige Sache für ein nachhaltiges Heilbronn ins Gespräch.

Ein Indikator finanzieller Nachhaltigkeit ist der Schuldenstand der Stadt. Dieser erhöht sich von 105 € Ende 2020 bis 2023 auf 919 € pro Kopf und geht danach wieder leicht zurück. Das ist ein ordentlicher Satz in kurzer Zeit, aber eben hinterlegt mit den Krisenjahren. Zum Glück kommen wir aus sehr guten Jahren, in denen wir die Kreditermächtigungen nicht gebraucht haben und der Schuldenstand trotz Großinvestition BUGA nie in veranschlagte Höhen gestiegen war. Wir halten die prognostizierte Verschuldung angesichts der Größe der Aufgabe für vertretbar und hoffen doch, genau wie wir alle hier, dass es besser kommt als geplant. Zumindest in einer der Deutschen Schlüsselindustrien, dem Automobilbau scheint es doch besser gelaufen zu sein, als die Auguren vorhergesagt haben. Wir wünschen uns dies für viele weitere Branchen und wir wünschen uns ein baldiges Herauskommen aus dem Krisenmodus.

Nun freuen wir uns auf die Haushaltsberatungen, angesichts der Antragslage werden Sie vermutlich übersichtlich, machen Sie noch auf unsere Prüfungsanträge aufmerksam, z.B. zur Evaluation der Stiftungsprofessur Systemgastronomie und zu einem Bürger*innengeld für die Stadtteile. Und natürlich werben wir jetzt schon um Zustimmung für unsere Anträge, damit wir – ganz im Sinne der Überschrift der Haushaltsrede von 1. BM Diepgen, die Stadtkonzeption verlässlich voranzubringen. Das bedeutet für uns Grüne eben gerade ein Steuern hin zu nachhaltiger Gestaltung unseres Zusammenlebens. Diese beschränkt sich nicht nur auf das äußerlich Sichtbare, sondern muss auch nach innen wirken, damit unser gesellschaftlicher Zusammenhalt gelingt.

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